The line open to all sides
Window exhibition, Gallery without a Gallerist, Cologne 1980
By Helmut Camphausen
Kölner Stadt-Anzeiger April 9, 1980
The light creates tension
Between sensitivity and movement – Joachim Richter's exhibition in the "Gallery without a Gallerist"
The "Gallery without a Gallerist" (Hochstadenstrasse 25) takes its departure from the conventional gallery format a step further with its current exhibition, curated by Joachim Richter. His installation can only be viewed from the outside, through the shop windows. This removes any hesitation about crossing the threshold and eliminates the questionable opportunity for polite conversation prompted by art, rather than about it.
Richter's theme explores the relationship between the system of sensitivity and movement. The system itself – encompassing not just political systems but all structures of order, whether imposed or self-created – is symbolized by a photograph of the symmetrically designed window facade of the Gerling Group. Along this facade walks a passerby: a figure both supported and constrained by the system they inhabit.
Yet, humans are also carriers of sensitivity. By projecting a negative taken just moments later onto the photograph, Richter makes the architectural facade almost disappear, allowing the passerby to take a single step- – a step bridging the gap between an apparently clear order and a sensitivity that can only be faintly perceived.
This tension between order and sensitivity is emphasized by Richter's use of light. The photograph is illuminated with cold white spotlights, while the room is plunged into darkness when the negative representing sensitivity appears. Pulsating, multicolored light strips placed on the floor illuminate the negative, creating a vivid contrast.
A coat draped over a chair, sewn by Richter from photographic linen and exposed to concrete patterns, suggests one way to deal with the conflict between apparent order and unstable emotions: to close oneself off completely, solid and unyielding as stone.
The other possibility, as written by Richter – who also studies social sciences – on the floor, reads: "the line open to all sides".
Those who have not entirely closed off their own sensitivity might do well to divert their Easter window-shopping walk from Schildergasse to Hochstadenstrasse. (The exhibition runs until April 12 and can be viewed daily from 7 to 10 p.m.)
Die nach allen Seiten geöffnete Linie
Schaufensterausstellung in der Gallery without a Gallerist, Köln 1980
Von Helmut Camphausen
Kölner Stadt-Anzeiger 9. April 1980
Das Licht sorgt für Spannung
Zwischen Empfindsamkeit und Bewegung – Ausstellung Joachim Richter in der "Gallery without a Gallerist"
Noch einen Schritt weiter in ihrer Abkehr vom üblichen Galeriebetrieb als bisher geht die "Gallery without a Gallerist" (Hochstadenstraße 25) mit ihrer derzeitigen Ausstellung, die Joachim Richter eingerichtet hat. Seine Installation ist nur von außen durch die Schaufenster zu sehen. Schwellenangst erübrigt sich, und die zweifelhafte Möglichkeit zur gepflegten Konversation anläßlich der Kunst statt über die Kunst ist unterbunden.
Richters Thema sind die Beziehungen zwischen dem System der Empfindsamkeit und der Bewegung. Das System an sich – also nicht etwa nur das politische, sondern, was als Ordnungsstrukturen überhaupt existiert, ob vorgegeben oder von uns selbst geschaffen – symbolisiert eine Fotografie der symmetrisch gegliederten Fensterfassade des Gerling-Konzerns. An dieser Fassade entlang geht ein Passant: Der Mensch ist einbezogen in das System, das zugleich Halt gibt und einengt.
Der Mensch ist aber auch Träger von Empfindsamkeit. Indem Richter auf das Foto ein nur einen Augenblick später aufgenommenes Negativ projiziert, läßt er die Architekturfassade nahezu verschwinden und den Passanten den einen Schritt tun, der zwischen scheinbar klarer Ordnung und nur schemenhaft erfahrbarer Empfindsamkeit liegt.
Die Spannung zwischen Ordnung und Empfindsamkeit unterstreicht das von Richter eingesetzte Licht. Während die Fotografie unter weiß-kaltem Scheinwerferlicht zu sehen ist, wird der Raum in Dunkelheit getaucht, sobald das Negativ der Empfindsamkeit erscheint. Zu dessen Erleuchtung pulsieren verschiedenfarbige Lichtschlangen, die auf dem Boden liegen.
Ein auf einen Stuhl gesetzter Mantel, den Richter aus Fotoleinen zusammengenäht und mit Betonstrukturen belichtet hat, zeigt die eine Möglichkeit, mit dem Widerspruch zwischen Schein-Ordnung und unstetem Empfinden fertig zu werden: sich nämlich endgültig und steinhart zu verschliessen.
Die andere Möglichkeit hat Richter, der im Ergänzungsberuf Student der Sozialwissenschaften ist, auf den Boden geschrieben: "die nach allen Seiten geöffnete Linie".
Wer seine eigene Empfindsamkeit noch nicht ganz verschlossen hat, täte sicher nicht schlecht daran, seinen österlichen Schaufensterbummel von der Schildergasse in die Hochstadenstraße zu verlegen. (Die Ausstellung dauert bis zum 12. April, täglich von 19 bis 22 Uhr ist die Installation zu sehen.)
Die Kontaktdaten von Helmut Camphausen konnten auf Nachfrage beim Kölner Stadt-Anzeiger nicht ermittelt werden (Stand: 20.11.2024). Schreiben Sie an: mail@joachimrichter.de, wenn Sie die Rechte an diesem Artikel besitzen.